Harvey Milk war der erste offen gleichgeschlechtlich Liebende, der in den USA in ein hohes öffentliches Amt gewählt wurde. Er war kein Berufspolitiker, kandidierte aber für den Stadtrat in San Francisco, weil er der Meinung war, dass gewöhnliche Menschen dort von monetären Interessen beiseite geschoben wurden. «Es braucht kein Geld, um einen Menschen als Individuum zu respektieren», sagte er. «Menschen sind wichtiger als Worte.» Als Stadtrat kämpfte er in diesem Sinn konsequent für die Rechte all derer, die keine Stimme hatten. Zu diesen Menschen gehörten Niedriglohn-ArbeiterInnen, Veteranen, Alte, rassische Minderheiten und die LGBT-Community.
Am Tag seiner Wahl nahm Harvey auf Band auf, was sich rückblickend als sein Testament herausstellen sollte. Er ahnte, dass er wohl gewaltsam sterben würde. Für den Fall, dass dies zuträfe, schrieb er: «Sollte ich eine Kugel in den Kopf bekommen, möge diese Kugel all jene Türen zerstören, hinter denen sich Homosexuelle verstecken müssen». Und die letzten Worte dieser Botschaft waren: «Wir müssen allen Hoffnung geben».
Am Nachmittag des 27. November 1978, nach kaum 5 Monaten im Amt, wurde er tatsächlich ermordet: Von einem anderen Stadtrat, der über Harveys Engagement dermassen wütend war, dass er ihn und den Bürgermeister aus nächster Nähe mit fünf Kugeln tötete. In dieser Nacht hielten 40’000 Menschen, Männer und Frauen, Alte und Junge, LGBT und sonst Liebende, eine Vigil, eine Nachtwache bei Kerzenlicht, vor dem Rathaus.
Auf dieser Ikone hält Harvey selbst eine Kerze und wacht damit für die Unterdrückten der Welt. Er trägt das «rosa Dreieck», mit dem Homosexuelle in den Nazi-KZs gekennzeichnet wurden. In den Todeslagern wurden geschätzte 15’000 bis 20’000 schwule Männer, neben Juden, Sinti und Roma, sog. «Bibelforscher», «Asoziale» und «Kriminelle» ermordet. Behinderte und «Lebensunwerte» wurden in Heimen und Einrichtungen «euthanasiert», mit Giftspritzen.
Harvey wird vom US-Amerikanischen Franziskaner Robert Lentz in der traditionellen byzantinischen Anmutung mit dem Nimbus oder Lichtkranz hinter dem Kopf dargestellt; Symbol dafür, dass seine Abbildung zur Kontemplation einer anderen Wirklichkeit lädt: Milk steht für all jene, die aus Angst und Hass aufgrund einer schlicht menschlichen Sexualität gefoltert oder getötet werden oder in ihren Herkunftsländern mit Verfolgung, Inhaftierung oder gar der Todesstrafe rechnen müssen. Mehrere Millionen Menschen sind dies weltweit, und ihre Zahl wächst von Jahr zu Jahr, da einige Länder ihre ehemals liberale Gesetzgebung wieder «zurückdrehen». So hören wir aus der Ikone des Heiligen «Harvey Milk von San Francisco» Jesus sprechen: «Was ihr für einen der Geringsten getan habt, das habt ihr mir getan». Mit der Kerze werden wir zu Jesu’ Wachsamkeit geladen: «Wachet und betet!».